Märchenhaftes Lenormand – die Magie der Eulen, die Zahl 12 und „Die zertanzten Schuhe“ – Teil 2

Weiter geht es mit der Serie Märchenhaftes Lenormand, die Magie der Eulen, der Zahl 12 und „Die zertanzten Schuhen“. In Teil 1 konnten Sie bereits erfahren, dass die Symbolsprache des Lenormand viel mit der Bildersprache der Märchen zu tun hat. Wenn wir uns wieder intensiver mit den vieldeutigen Ebenen der Märchenwelt beschäftigen, entwickeln wir automatisch ein ausgereifteres Verständnis für die tiefliegenden Bedeutungen der Lenormandkarten. Indem wir uns die Interpretation eines Märchens vor Augen führen, werden wir uns bewusster welche Seelenaspekte die Lenormandsymbole ansprechen.

Die Verbindung zwischen Lenormand und Märchen ist deswegen auch ein elementarer Bestandteil meines Buches „Die fabelhafte Welt des Lenormand“ geworden. Viele psychologische und spirituelle Bedeutungen werden anhanddessen erklärt und dem Bedeutungspektrum der Karten hinzugefügt.

Die magische Zahl 12 im Lenormand und im Märchen

In Teil 1 konnten Sie bereits erfahren, wie das Grimms Märchen Die zertanzen Schuhe eng mit der Symbolik der Eulen verbunden ist. Der Zusammenhang wird über die qualitative Bedeutung der Zahl 12 hergestellt, die sowohl die Zahl der Eulen ist (12. Karte!) als auch im Märchen eine bedeutende Rolle spielt (12 Königstöchter). Das Gewebe dieses wunderschönen Märchens ist durchdrungen vom Geist der magischen Zahl. Dies führt dazu, dass wir zugleich sehr viel über die symbolische Qualität der Eulen im Lenormand lernen können.

Eulen aus dem Kartendeck Blaue Eule
Eulen aus dem Kartendeck Blaue Eule

So geht das Märchen weiter: Nun ist dem König in seiner Rolle als besorgter Vater daran gelegen, wieder Kontrolle über die Aktivitäten seiner abenteuerlustigen Töchter zu erlangen. Mit seinem großen Aufruf sucht sich in seiner Verzweiflung Hilfe von außen, um endlich seine Töchter zur Vernunft zu bringen und eine Umkehr zu bewirken. Jedoch scheiterten bislang alle Versuche seiner Bewerber, weil die Mädchen sie geschickt überlisteten. Alle Anwärter mussten dafür mit dem Leben bezahlen. Eines Tages streift ein Soldat umher, der seinen Dienst beim Militär quittiert hat. Er wird von einer alten Frau gefragt, was er vorhabe. Als er erwähnt, dass er gerne zum König wolle, um ihm seinen Wunsch zu erfüllen, verrät ihm die Alte, wie er es anstelle müsse, um den Mädchen auf die Schliche zu kommen.

Die Märchen erzähle ich immer nur in kurzen Abschnitten und Ausschnitten nach. Wer Die zertanzten Schuhe nochmal im Ganzen nachlesen möchte, findet das Märchen hier.

Die spirituelle Bedeutung der Zahl 12 und der Eulen

Offenbar weiß sie über die Heimlichkeiten der Königstöchter jede Einzelheit. Vielleicht ist die alte Frau eine Art Hexe, die dank ihrer übersinnlichen Fähigkeiten Einblick in die geheime Welt der Mädchen erhält. Die Eulen sind ein uraltes Sinnbild für Magie und Hellsicht (siehe Teil 1), die an dieser Stelle des Märchens durch die Figur der Greisin deutlich sichtbar werden. Doch das Prophezeiende ist nicht allein eine Gabe der Alten. Auch eines der jungen Mädchen scheint damit gesegnet zu sein. Als die Schwestern sich zum Ausgehen hübschmachen, beteuert sie: „… ich weiß nicht, ihr freut euch, aber mir ist so wunderlich zu Muthe, gewiß widerfährt uns ein Unglück!“.

Allerdings bleiben ihre spürsinnige Wahrnehmungen und Warnungen auch ungehört, als der Soldat sich trotz seiner Unsichtbarkeit auf dem Weg in die unterirdische Welt ein paar Mal zu verraten droht. Denn keine außer ihr will etwas von seiner Anwesenheit gemerkt haben. Um später vor dem König seine erfüllte Mission beweisen zu können, nimmt er sich Zweige und Becher aus der anderen Welt mit. Doch bevor es wieder nach oben geht, beobachtet er das feierlich bunte Treiben der Königstöchter.

Am See angekommen, werden sie von zwölf Prinzen auf Booten erwartet, die sie zum anderen Ufer bringen, wo das hell erleuchtete Schloss sie willkommen heißt. Es wird getrunken und getanzt als gäbe es kein Morgen. Der Soldat nimmt davon weitere Notiz und kehrt ungesehen mit den Mädchen zurück an die Oberfläche des neu anbrechenden Tages.

Aufbruch in ein neues Leben – klassisches Merkmal der Eulen

Interessant in diesem Teil des Märchen das Übersetzen mit den 12 Booten. Während der Überfahrt wechselt die Welt vom Dunklen ins Helle. Durch den Wechsel der Umgebung findet auch bei den Mädchen eine regelrechte Verwandlung statt. Waren sie vorher stets eine Gemeinschaft, fangen sie hier an, sich voneinander zu lösen, jeweils in das Schiffchen ihres Prinzen zu steigen. Ein typischer Individualisierungsprozess auf dem Weg zum Erwachsensein. Nicht nur die verschworene Einheit mit den Freundinnen (hier Schwestern) zählt, sondern auch auch die neue Erfahrung der ersten Liebe. Diese muss jede für sich machen.

Die Ablösung, die letzten Endes in selbstständigem Handeln und Denken mündet, ist ein klassisches Motiv der Eulen. Vielleicht kann man diesen elementaren Vorgang in der geheimen Welt sogar als Erlösung bezeichnen, denn nur so kann jede der Schwestern ihre individuelle Persönlichkeit entwickeln und eigenen Erfahrungen im Erwachsenwerden sammeln.

Die 12 kleinen Schiffe, auf denen die Mädchen zu ihrem Lieblingsort gebracht werden, erinnern mich an die Karte Das Schiff im Lenormand. Es ist der Zahl 3 zugeordnet. Die ergibt wiederum als Quersumme die 12 (mehr über die hochspannenden numerologischen Zusammenhänge in Die fabelhafte Welt des Lenormand). Hier im Märchen spielen die Schiffe eine entscheidende Rolle, weil erst durch sie der Übertritt in die Welt des Erwachsenseins ermöglicht wird. Das Schiff steht im Lenormand unter anderem für Entwicklung. Und um ebendiese geht es bei den heranreifenden Schwestern und ihren nächtlichen Ausflügen zum unterirdischen Schloss!

Die Abenteuer der Mädchen werden jäh unterbrochen, als der Soldat dem König alles über sie verrät. Hier endet für die jungen Frauen die Fluchtmöglichkeit vor der strengen Hand des Vaters, aber vor allem die Chance auf ein eigenständiges Leben und eine frei gewählte Liebe. So war es zu jener Zeit, als den Frauen kaum Rechte zugesprochen wurden, überaus gewollt. Die Älteste muss den Verräter heiraten. Die Prinzen, die durch das Tanzen schon beinahe erlöst waren, werden erneut verwünscht. Ein bitteres Ende, das für ein Märchen äußerst ungewöhnlich ist. Aber auch das ist ein typisches Merkmal der Eulen: Ausscheren aus den gewohnten Bahnen.